In letzter Zeit habe ich viel über die Themen Spiegeltechnik und Manifestieren nachgedacht, zwei Konzepte, die in der spirituellen Szene oft als Schlüssel zur Selbstentwicklung präsentiert werden. Doch je länger ich mich damit beschäftige, desto klarer wird mir: Es gibt da einige Aspekte, die ich sehr kritisch sehe, und auch manche, die mich persönlich tief verstören. Ich möchte hier ein paar Gedanken teilen – vielleicht regen sie auch dich zum Nachdenken an.
Die Spiegeltechnik: Authentizität oder Grenzverletzung?
Die Idee hinter der Spiegeltechnik klingt zunächst sinnvoll: Negative Gefühle, die andere in uns auslösen, sollen uns auf ungelöste Themen hinweisen. Der andere wird zum Spiegel, in dem wir uns selbst erkennen. Doch diese Sichtweise fühlt sich für mich beklemmend an – und ich möchte erklären, warum.
Ich habe, vielleicht bedingt durch Autismus oder alte Traumata, oft Schwierigkeiten zu erkennen, woran ich mit anderen Menschen bin. Mögen sie mich wirklich, so wie ich bin? Oder sehen sie in mir nur eine Herausforderung, eine Gelegenheit, an sich selbst zu arbeiten? Finden sie mich vielleicht innerlich „doof“, zeigen es aber nicht, weil sie glauben, es sei „unspirituell“ oder ihre Aufgabe, diese Gefühle zu transformieren?
Das Leben wäre so viel leichter für mich, wenn ich wüsste, wer mich wirklich mag, wer mir etwas vorspielt und für wen ich nur eine Herausforderung bin, an seinen eigenen Themen zu arbeiten. Wenn ich ganz ehrlich bin, empfinde ich es ein Stück weit als Grenzverletzung, für jemand anderen das Objekt zu sein, das der nutzt, um an seinen Themen zu arbeiten. Ich merke, dass ich mich nicht gesehen, respektiert und ernst genommen fühle, wenn der andere in mir seinen Spiegel sieht und mich für sein Wachstum benutzt. Und diese Grenzverletzung ist, glaube ich, die Ursache für mein ungutes Gefühl bei der Spiegeltechnik.
Und deshalb frage ich mich: Tun wir mit der Spiegeltechnik uns selbst und vor allem auch den Menschen, denen wir begegnen, WIRKLICH etwas Gutes? Klar, an der Oberfläche wirkt es so, weil wir anderen positiver und zugewandter begegnen und uns selbst dabei weiterentwickeln. Aber auf einer tieferen Ebene benutzen wir den anderen für unsere eigene Entwicklung, ohne ihn zu fragen, ob er das überhaupt will. Ob er sich nicht vielleicht von uns Authentizität wünscht.
Ein Einwand könnte sein: „Aber die Spiegeltechnik hilft, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen.“ Doch tut sie das wirklich? Für mich bedeutet Verantwortung für die eigenen Gefühle nicht, sie im Inneren zu transformieren und zu verstecken, sondern sie authentisch zu zeigen. Nicht im Sinne von: „Ich bin wütend, also ändere dich!“ Sondern: „Ich spüre Wut, und damit umzugehen ist meine Aufgabe. Aber ich lasse dich wissen, woran du mit mir bist.“ Das ist für mich echter Respekt – dem anderen die Chance zu geben, sich authentisch zu begegnen, statt ihn als Spiegel zu benutzen.
Manifestieren: Kontrolle statt Hingabe
Ein weiteres Konzept, das ich kritisch sehe, ist das „Manifestieren“. Die Idee, dass wir unsere Realität durch unsere Gedanken erschaffen, klingt auf den ersten Blick verlockend. Doch wenn wir genauer hinschauen, steckt dahinter oft nichts anderes als der Versuch, die Welt unserem Willen zu unterwerfen – ein Ausdruck des Egos.
Früher ging es in der Spiritualität um Hingabe. Es ging darum, die Realität anzunehmen, wie sie ist. Menschen wie Osho, Wilhelm Reich oder Fritz Perls betonten die Befreiung durch Authentizität und das volle Erleben von Gefühlen. In den Therapiegruppen von Oshos Ashram oder am Esalen-Institut, einem Zentrum der humanistischen Psychologie, war es das Ziel, blockierte Gefühle zu befreien. Menschen durften Wut schreien, Trauer durch kathartische Ausbrüche erleben oder sich ihrer Lust ohne Scham hingeben. Es ging darum, alle Gefühle zuzulassen und zu spüren, wer man wirklich ist. Erst durch diese Akzeptanz entstand Raum für tiefen inneren Frieden.
Im Gegensatz dazu stehen heutige Ansätze wie The Secret, das suggeriert, wir könnten alles im Leben haben, wenn wir nur positiv genug denken und visualisieren. Dieses Manifestationsdenken propagiert oft materielle Werte – Erfolg, Wohlstand, das „perfekte“ Leben – und schürt gleichzeitig die Angst, dass negative Gedanken oder Gefühle uns davon abhalten könnten. Das Ergebnis? Ein enormer Druck, immer positiv zu sein und „hochfrequent“ zu schwingen. Aber was bleibt dabei von unserer Menschlichkeit übrig?
Ich glaube nicht, dass wir die Realität erschaffen. Die Realität ist bereits da. Unsere Aufgabe ist es, zu entscheiden, ob wir „Ja“ oder „Nein“ dazu sagen. Und in dem Moment, in dem wir aufhören, die Welt verändern zu wollen, geschieht oft etwas Magisches. Wunder entstehen nicht, weil wir sie manifestieren, sondern weil wir sie zulassen.
Gefühle leben statt transformieren
Ein weiterer Irrtum, der mir in der heutigen Spiritualität begegnet, ist der Zwang, Gefühle zu transformieren. Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen bedeutet für mich nicht, sie zwangsläufig verändern zu müssen. Es reicht völlig, sie einfach zu fühlen. Die Energie von Wut ist dazu da, um eine Grenze zu setzen, wo es nötig ist, und „Nein“ zu sagen. Ich muss nicht versuchen, sie in Liebe oder Licht umzuwandeln.
Damals, in der humanistischen Psychologie und frühen Spiritualität, wurde das Leben von Gefühlen als Schlüssel zur Freiheit betrachtet. Heute dagegen scheint es, als gäbe es eine Hierarchie der Gefühle. Freude und Liebe stehen ganz oben, während Wut, Angst oder Traurigkeit oft als „niedrige Frequenzen“ abgestempelt werden. Aber warum eigentlich? Sind wir weniger spirituell, wenn wir unsere Wut oder Angst fühlen?
Früher vs. heute: Der Wandel der Spiritualität
Früher sagten spirituelle Lehrer: Das Ego ist die Instanz, die Macht ausüben und die Welt unter ihre Kontrolle bringen will. Aber wahre Freiheit ist da, wo wir das aufgeben, wo wir nicht mehr Macht und Kontrolle ausüben wollen, sondern uns in die Welt, so wie sie ist, hingeben. Es ging nicht um „manifestieren“, sondern um „akzeptieren“. Heute wollen wir alles kontrollieren. Unsere Gefühle, unsere Gedanken, und glauben, dadurch könnten wir uns die Welt unterwerfen und Macht über das Leben ausüben. Wenn wir nur „richtig“ denken, dann wird die Welt das liefern, was wir wollen, glauben wir. Und vielleicht tut sie das manchmal sogar, vielleicht aber auch nicht.
Aber das Entscheidende ist: Wenn wir das versuchen, weil wir denken „So funktioniert die Welt, wir können ihr unseren Willen aufzwingen“, sind wir nicht frei und im Frieden mit dem gegenwärtigen Moment. Dann sagen wir „Nein“ zu dem, was da ist, und versuchen, etwas anderes zu manifestieren. Dann leben wir das Leben des Egos.
Wie oben schon gesagt: Nicht wir erschaffen die Realität durch unsere Gedanken, sondern die Realität IST schon da, und wir haben die Wahl, dazu „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Frei und im Frieden werden wir sein, wenn wir „Ja“ sagen und aufhören, der Realität unseren Willen aufzuzwingen. Auch dann können Wunder entstehen und das passieren, was uns wirklich guttut. Aber wir können die Verantwortung dafür, dass Wunder geschehen, abgeben.
Wir müssen GAR NICHTS tun.Nicht auf unsere Gedanken achten, nichts manifestieren, nichts transformieren. Wir dürfen ALLES tun, was sich im Moment authentisch und richtig anfühlt. Wir dürfen auch versuchen, zu manifestieren. Aber wenn wir manifestieren, sollten wir es als Spiel verstehen. Manchmal gewinnen wir, manchmal verlieren wir. Und unser Glück hängt nicht davon ab, wie das Spiel ausgeht. Wir haben es nicht in der Hand, und wir müssen es auch nicht in der Hand haben, um im Frieden zu sein. Im Gegenteil, wir dürfen aufhören, es in der Hand haben zu wollen.
Eine Antwort
Wow, das klingt einleuchtend. Ja, gefühlt anstrengend und immer auf der Hut. Im Grunde nie im Sein, in diesem Moment.
Mein Körper hat grad Grippe, aber mein Geist ist völlig wach und klar.
Mal sehen, wo es mich hinleitet.
Als erstes mal zu Dir ☺️
Ich hatte einen nächtlichen Impuls. Da ich aus gefundenen Waldhölzern kreiere und immer mehr Texte zu mir fließen kam die Idee Liedtexte zu schreiben. Das klang für mich total verrückt, da ich mich sehr unmusikalusch fühle. Rhythmus ist ok.
Aber, wer weiß, wie der Weg weiter geht. Du inspiriert mich jedenfalls gerade sehr. Ich denke, dass das die Wunder sind, die uns führen, leiten & weiter gehen lassen.
Alles Liebe
Tatjana ☺️ 🌳