Ist es schlimm, an einer Angst zu scheitern?

Gespräche mit dem höheren Selbst (Teil 2)

„Wie geht es dir heute?“, fragte mich mein höheres Selbst.

„Nicht gut“, antwortete ich.

„Was ist passiert?“

„Ich habe etwas nicht geschafft, was ich hätte schaffen sollen. Ich habe einen Termin abgesagt. Meine Angst stand mir im Weg.“

„Wer sagt denn, dass du es hättest schaffen sollen?“

„Na…alle…der gesunde Menschenverstand…die Vernunft…“

„Ist das so?“

„Naja, schon…das liest man doch überall. Man muss sich seinen Ängsten stellen, nur außerhalb der Komfortzone gibt es Wachstum, man muss es wirklich wollen, wenn man Erfolg haben will, man braucht das richtige Mindset. Verhaltenstherapeuten sagen, wenn man vor seiner Angst wegläuft, wird sie größer. Nur die Harten kommen in den….“

„Stopp. Genug. Wie groß war Deine Angst?“

„Sie war unvernünftig und überflüssig. Es gab überhaupt keinen Grund dafür…“

„Das habe ich dich aber nicht gefragt. Ich habe dich gefragt wie groß sie war. Auf einer Skala von 1 bis 10, das kennst du ja.“

„Naja…9 oder 10…es hat sich so angefühlt, als ob mein Leben massiv in Gefahr wäre, wenn ich da hingehe…aber das war Blödsinn…es hätte gar nichts schlimmes passieren können…“

„Also du hattest Todesangst?“

„Ja schon, aber…“

„Sag mal, du bist doch Pädagoge? Ist es sinnvoll, zu einem Kind das Todesangst hat, zu sagen, dass seine Angst Blödsinn ist? Egal ob sie vielleicht wirklich Blödsinn ist oder ob es sich nur für das Kind so anfühlt?“

„Nein. Natürlich muss man die Angst von dem Kind ernst nehmen, das ist doch klar…“

„Und warum machst du das bei deinem inneren Kind nicht? Warum sagst du ihm, dass seine Angst Blödsinn ist? Es hat Todesangst und du nimmst es nicht ernst, oder?“

„Aber ich bin ERWACHSEN. Die Stefanie Stahl schreibt auch, dass man dem Kind liebevoll erklären muss, dass es keine Angst mehr zu haben braucht und dann ist gut. Es war aber nicht gut. Ich bin gescheitert, wegen dem blöden inneren Kind, das hat nich kapiert, dass es keine Angst haben muss.“

„Ok, du Pädagoge. Nehmen wir mal an, ein Kind schafft etwas nicht, dass es sich vorgenommen hat. Dann machst du ihm am besten Vorwürfe und nennst es blöd, oder?“

„Nein, natürlich nicht…aber…“

„Dein inneres Kind, oder du selbst, du warst einfach nicht stark genug. Dein Vertrauen in die Welt ist so tief verwundet, dass du mit der Situation nicht klar gekommen und davongelaufen bist. So war es doch, oder? Und jetzt machst du dich dafür fertig. Aber dadurch machst du deine Wunde noch größer. Sag mal, wann hast du dich das letzte Mal einer richtig großen Angst gestellt?“

„Letztes Jahr bin ich Seilbahn gefahren…“

„Wie groß war da die Angst?“

„Naja…etwas weniger als gestern, aber schon 8 oder so…in der Gondel war es schrecklich…“

„Und wie hast du dich danach gefühlt? Warst du stolz auf dich oder so?“

„Nein, ich war nur froh, überlebt zu haben…“

„Hast du jetzt weniger Angst vor dem Seilbahnfahren?“

„Nein…eher mehr….weißt Du es war schrecklich in der Gondel…“

„Es hat also die Angst schlimmer gemacht, dass du dich ihr gestellt hast? Dass du deine Komfortzone verlassen hast?“

„Schon…“

„Genau so ist das, wenn man sich Ängsten, denen man nicht gewachsen ist, stellt. Ohne das Urvertrauen, dass man bestehen kann, ohne Zuversicht wird das nicht funktionieren. Da verlangt man unmögliches von sich. Weißt du, es ist total ok, nicht stark genug zu sein. Es ist in Ordnung, wegzulaufen, wenn die Angst zu groß ist. Egal wie wichtig der Termin war, vor dem du weggelaufen bist, es macht nur Sinn, hinzugehen, wenn du das Gefühl hast, stark genug zu sein. Es macht Sinn, sich Ängsten zu stellen. Aber nur wenn man daran glaubt, dass man stärker sein könnte, als die Angst. Sicherheit gibt es zwar nie, aber Zuversicht und Vertrauen in sich und die Welt. Und ohne diese Zuversicht wirst du dich nur selbst verletzen. Wenn du ohne Zuversicht versuchst, dich einer Angst zu stellen, wird das immer schlecht für dich ausgehen.“

„Ja kann schon sein, dass das für den Termin gestern stimmt. Aber wenn es mal um wirklich wichtige Termine geht, was dann? Zum Beispiel Krebsvorsorge oder so. Ich komm langsam in ein Alter, in dem das echt wichtig ist. Da kann ich doch nicht immer davonlaufen, weil meine Angst zu groß ist…“

„Ja, da hast du recht. Das ist irgendwann echt wichtig. Und genau deshalb solltest du dich JETZT so gut und liebevoll um dich kümmern, dass du das Vertrauen und die Kraft in dir finden kannst, um in Situtationen, in denen es wirklich wichtig ist, bestehen zu können.“

„Und wie soll ich das machen?“

„Geh liebevoll mit dir um. So wie eine liebende Mutter oder ein guter Pädagoge. Schütze dich, wenn es geht, vor Herausforderungen, für die deine Kraft nicht reicht. Setz dich nicht unter Druck, wenn du dich einer Herausforderung stellst. Und nimm dich liebevoll in den Arm, wenn du scheiterst, anstatt dich selbst zu bestrafen. Es ist in Ordnung zu scheitern, es ist in Ordnung zu sagen: Das schaffe ich nicht. Du bist in Ordnung, genauso wie du bist. Völlig egal ob du etwas schaffst oder nicht. Und nimm deine Gefühle ernst, auch wenn sie rational unbegründet sind. Sie sind da, sie wollen gefühlt werden und sie dürfen gefühlt werden.“

„Meinst du?“

„Ja. Es ist Selbstliebe, vor einer zu großen Angst wegzulaufen und nicht Versagen.“

„Hm…danke dir…“

„Pass auf dich auf und geh liebevoll mit dir um. Wir sehen uns….“

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