Ein Märchen. Oder die Utopie einer heilenden Gemeinschaft?
In einem Land, das geprägt war von grauen Städten und eiligen Schritten, gab es einen jungen Mann namens Arin, der sich oft fühlte, als gehöre er nicht in diese Welt. Er war umgeben von ehrgeizigen Menschen mit nichts als Erfolg im Kopf, von Menschen, die sich anpassten und sich selbst aufgaben, um dazuzugehören, von Menschen, die sich hinter Masken verbargen. Doch Arin fühlte sich wie ein Fremder unter ihnen, als ob er in einer Welt lebte, die nie für ihn bestimmt gewesen war. Er suchte nach etwas anderem, etwas, was er nicht kannte. Ein unbekanntes Verlangen regte sich in seiner Seele, und jede Nacht in seinen Träumen führte ihn sein Verstand in ein geheimnisvolles Labyrinth, verborgen in einem uralten Wald.
An einem Morgen, als der Traum zu real war, um ihn zu ignorieren, nahm Arin einen kleinen Rucksack und folgte den Zeichen seines Herzens. Es war eine lange Reise; durch Täler und über Berge wanderte er, bis er an den Rand eines alten dichten Waldes kam. Mit jedem Fuß, den er tiefer in den Wald setzte, hörte er, wie der Lärm der Welt um ihn herum in die Ferne rückte.
Am Eingang des Labyrinths zögerte Arin. Der Eingang war von Steinen eingefasst, von Moos bedeckt, als würden sie ihn freudig in die Arme schließen wie einen alten Freund. Doch die Stille, die auf ihn wartete, flößte ihm auch Angst ein. Dennoch atmete er tief ein und trat ein. Die Pfade des Labyrinths wanden sich so, wie die Gedanken und Zweifel in ihm sich oft wanden und ineinander verschlangen. Die Luft im Labyrinth war kühl und schwer, und der Duft von feuchtem Moos und Erde drang in seine Nase. Das Knirschen der Steine unter seinen Füßen war das einzige Geräusch in der unheimlichen Stille, und mit jedem Schritt fühlte Arin, wie die Last der Welt immer weiter hinter ihm verblasste.
Nach einigen Windungen, Kurven und Biegungen kam Arin in eine Kammer.
Die Kammer der Spiegel
Die Kammer war voll mit hunderten von Spiegeln. In jedem Spiegel sah Arin sich selbst, aber immer etwas anders: mal glücklich, mal traurig, mal wütend, mal verzweifelt. Er sah seine Masken in den Spiegeln, die Masken, die er in die Welt getragen hatte. Er sah, wie er lachte, während er innerlich weinte. Wie er nickte und „Ja“ sagte, obwohl sein Herz leise „Nein“ flüsterte. Es war erschreckend für Arin, sich selbst in den Spiegeln zu sehen. Die Spiegel sprachen die Wahrheit. Sie zeigten die Masken, die er gestohlen hatte, um zu gefallen, um dazuzugehören, um sich nicht mehr fremd zu fühlen. So oft hatte er sich selbst verraten. Zuerst wollte er weglaufen, den Blick abwenden, den schmerzhaften Spiegelbildern entkommen. Doch etwas hielt ihn fest. Es war, als ob die Spiegel ihn zwingen würden, hinzusehen. Jeder Blick war ein Stich ins Herz, eine Erinnerung daran, wie oft er sich selbst belogen hatte, um die Erwartungen der anderen zu erfüllen.
Es fiel ihm schwer, die ganzen Masken zu ertragen. Doch wegsehen half nichts. So ertrug Arin das, was er sah. Und irgendwann umarmte er all seine Variationen fest und ließ sie gehen. Er spürte, wie die Last dieser Masken ihn all die Jahre erdrückt hatte, doch jetzt, in diesem Moment, als er sie umarmte, schien ihr Gewicht sich aufzulösen. Es war schwer, sie loszulassen – doch noch schwerer, sie weiterzutragen. Tränen flossen, ein Schluchzen, das Erleichterung und Trauer zugleich bedeutete, und sie reinigten ihn, bereiteten ihn vor auf seine weitere Reise. Arin fühlte sich leer und erschöpft, doch auch leichter – als ob ein schwerer Schleier, der ihn so lange bedeckt hatte, nun endlich gelüftet war.
Er machte sich auf und ging weiter. Nach einer Weile gelangte er in einen dichten und dunklen Wald. Am Himmel konnte man die Sterne weit weg leuchten sehen.
Die Stimmen der Alten Geister
In diesem Wald flüsterte der Wind Geschichten, die sich wie Märchen anhörten. Er erzählte von einer Gemeinschaft, in der alle so sein durften, wie sie wirklich sind. Es gab kein „Zu viel“ oder „Nicht genug“. Ein „Nein“ war so wertvoll und wichtig wie ein „Ja“. Jeder sorgte für sich, und dadurch, dass jeder wahrhaftig und ohne Maske für sich sorgte, sorgte er auch für alle anderen. Die Stimmen woben ein Netz aus Sicherheit und Verständnis um Arin. Doch Arin fragte sich, ob so etwas überhaupt möglich war. Schließlich kannte er nur die Welt, aus der er gekommen war. Dennoch entzündeten die Geschichten des Windes einen Funken der Hoffnung in ihm.
Und er beschloss, weiterzugehen.
Der Brunnen der Selbstakzeptanz
Sein Weg führte ihn in einen stillen Garten mit einem Brunnen in der Mitte. Arin bemerkte, dass er durstig war und schöpfte eine Handvoll Wasser. Es schmeckte bitter, als er den ersten Schluck davon trank. Das Wasser zeigte ihm alles, wovor er Angst hatte, alles, woran er zweifelte. Seine ganzen Unsicherheiten und sein Misstrauen. Mit jedem darauffolgenden Schluck wurde es jedoch süßer, denn Arin begann, sich selbst zu akzeptieren – seine Schwächen und Stärken gleichermaßen. Er fühlte sich leicht und befreit. Und vor allem fühlte er sich endlich ganz bei sich selbst angekommen.
Und in diesem Moment sah er vor sich ein Tor, den Ausgang des Labyrinths.
Die Gemeinschaft
Hinter dem Tor fand er eine Gemeinschaft. Es waren die Menschen, die vor ihm durch das Labyrinth gegangen waren. Hier, in einem Tal, umgeben von Bäumen, die älter waren als die Zeit, hatten sie sich niedergelassen, um aus den Geschichten, die ihnen der Wind erzählt hatte, Wirklichkeit werden zu lassen. Herzlich wurde Arin willkommen geheißen. Die Menschen in dem Tal lebten in einer stillen, friedlichen Harmonie, wie sie Arin nie zuvor erlebt hatte. Es gab kein hektisches Treiben, keinen Druck, etwas zu erreichen oder jemand zu sein, der man nicht war. Sie nahmen einander an, so wie sie waren. Es gab kein „Du musst“ oder „Du solltest“. Es gab nur „Du darfst“. Hier war Arin kein Fremder mehr. Hier war Arin endlich zu Hause.
Arin lernte von ihnen, wie sie miteinander umgingen, sich unterstützten, einander annahmen und so ohne Angst leben konnten.
Die Rückkehr in die Welt
Doch nach vielen Monden entschied sich Arin dennoch, in die Welt zurückzukehren, die er verlassen hatte – nicht, um dort zu leben, wie er es vorher getan hatte, sondern um eine Botschaft der Hoffnung zu bringen. Er erzählte den Menschen in den grauen Städten von dem Labyrinth, dem Brunnen und der Gemeinschaft. Zunächst liefen sie mit eiligen Schritten an ihm vorbei, ihre Gesichter leer und ihre Augen auf den Boden gerichtet. Doch langsam, fast unmerklich, blieben einige stehen. Es begann mit einem kurzen Blick, dann einem Zuhören, und schließlich schien etwas in ihren Augen zu erwachen – ein Funke, den sie längst vergessen hatten.
Und so machte er weiter. Und Arin sah, wie die Gesichter der Zuhörer sich veränderten. Sie begannen zu träumen, zu hoffen. Einige fanden den Mut, das Labyrinth zu suchen. Und während der alte Lärm der Welt um sie weiter dröhnte, fanden immer mehr Menschen den Weg zum Wald, zum Labyrinth – und schließlich zu sich selbst.
2 Antworten
Danke von ❤️dass du das Mörchen von Arin geschrieben hast 🙏✨
Wie wundervoll, danke dafür! 🙏🏻
Genau DAS sollte das Ziel von all jenen Suchenden und Findenden sein – sich nicht in eine Gemeinschaft zu „fliehen“ oder/und abzuschotten, sondern Erkenntnis & Wahrheit in die „reale“, 3D-Welt zu übertragen, sie zu leben & zu verbreiten. Und somit einen Beitrag zu leisten – für dich selbst & im Kollektiv. 🌹